Hast du dich schon mal gefragt, wie du deinen Rundrücken loswerden kannst? Wahrscheinlich hast du schon einiges an Übungen ausprobiert, aber nicht wirklich gute Ergebnisse dadurch erzielt. In diesem Artikel gebe ich dir evidenzbasierte Gründe dafür, weshalb das so ist und am Ende bekommst du noch Empfehlungen, die wirklich funktionieren.
Inhaltsverzeichnis
Haltung ist sehr individuell, habituell und variabel
Das bedeutet, dass es keine optimale Körperhaltung gibt und dass die Haltung innerhalb einer Person auch sehr stark variieren kann. Dazu haben Schmidt et al. eine sehr interessante Studie gemacht, und zwar haben sie die Haltung von ihren Proband:innen untersucht, sowohl vor als auch nach gewissen Bewegungen der Wirbelsäule.
Also Streckung, Beugung, Rotation, Seitneigung und immer nachdem die Proband:innen eine Bewegung gemacht haben, haben sie wieder die Ruheposition eingenommen und analysiert, wie die Haltung eben aussieht.
Festgestellt wurde dabei, dass die Haltungen innerhalb einer Person wahnsinnig unterschiedlich sind, obwohl die Abstände zwischen den Messungen ja sehr kurz waren. Einfach mal in maximale Beugung gehen, wieder hinstellen in die normale Position und plötzlich sah die Haltung ganz anders aus.
Schmerzen im Rücken aufgrund der Haltung?
Was sie außerdem in dieser Studie festgestellt haben, ist, dass die Haltung auch unabhängig von Schmerzen oder keinen Schmerzen war.
Bedeutet, dass die Haltung bei Leuten mit Schmerzen genauso variabel war, wie bei Leuten ohne Schmerzen.
Ich hoffe, dass dieser Punkt dir ein bisschen die Angst genommen hat, dass deine Haltung immer fixiert ist und nicht veränderbar ist.
Die Haltung ist sehr, sehr variabel und von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Aber dazu kommen wir jetzt gleich noch.
Haltung ist nicht so wichtig, wie die meisten Leute denken
Was meine ich damit? Damit meine ich, dass es keinen klaren Zusammenhang zwischen z. B. einem Rundrücken und vorgeneigten Kopf und Rücken- oder Nackenschmerzen gibt.
Das bedeutet, dass du kein erhöhtes Risiko für Rücken- oder Nackenschmerzen hast, nur weil du eine Hyperkyphose also eine “zu starke” Krümmung im Rücken hast oder dein Kopf und deine Schulterblätter weiter nach vorne stehen.
Wir sollten Körperhaltung stattdessen so betrachten, dass es ganz viele Variationen von guten und gesunden Körperhaltungen gibt.
Dazu habe ich dieses Bild bei Adam Meakins auf seinem Instagram-Kanal gesehen und fand, dass es sehr, sehr passend ist. Die Haltung ist also in Bezug auf Schmerzen gar nicht so wichtig.
Schlechtere Performance aufgrund eines Rundrückens?
Wenn du beispielsweise einen Sport ausführst, der sehr viel Streckung in der Brustwirbelsäule braucht, dann ist es natürlich sinnvoll, daran zu arbeiten, mehr Streckung in der Brustwirbelsäule zu erreichen.
Die Streckung wird aber alleine durch das häufige Ausüben des Sports schon viel, viel besser werden. Also brauchst du dir da nicht irgendwie einen extremen Kopf machen, dass du unbedingt ganz viel gezieltes Training machen musst, um deinem Sport gerecht zu werden.
Mach den Sport mehr und mach gerne ein paar Zusatzübungen, aber mach dich nicht verrückt deswegen.
Wie entsteht ein Rundrücken?
Das kann natürlich viele verschiedene Gründe haben. Bei manchen Menschen entstehen gewisse Verformungen der Wirbelsäule aufgrund von Erkrankungen, wie Osteoporose, Morbus Bechterew oder Morbus Scheuermann.
Dennoch bekommen auch viele Menschen ohne Erkrankung einen Rundrücken und eine “schlechte Haltung”.
Dabei sehe ich immer wieder, dass die Haltung so stark reduziert wird auf die rein biomechanische Ebene. Von wegen, ja, meine Muskulatur im Bauch und Brust sind zu stark, meine Rückenmuskulatur ist zu schwach und deswegen zieht es mich in diese Haltung rein.
Oder ich sitze die ganze Zeit bei der Arbeit, schaue auf meinen Monitor und deswegen geht mein Kopf nach vorne und meine Wirbelsäule geht in diese Fehlhaltung, wodurch mein Rücken rund und krumm wird.
Das ist alles sehr eindimensional betrachtet.
Haltung wird durch Gedanken und Gefühle geprägt
Versteh mich nicht falsch, das können definitiv beitragende Faktoren sein, aber man hat in verschiedenen Untersuchungen gesehen, dass beispielsweise deine Gedanken, wie du über deine Körperhaltung denkst, einen großen Einfluss darauf haben, welche Körperhaltung du einnimmst.
Nehmen wir mal kurz an, du hast Rückenschmerzen und denkst, dass diese Rückenschmerzen entstanden sind, weil du eine “schlechte Körperhaltung” hast. Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass du muskulär eine überdurchschnittlich hohe Spannung im Rücken hast. Das haben verschiedene Untersuchungen schon gezeigt.
Deswegen ist ein sehr wirksamer Ansatz bei diesen Leuten die sogenannte Cognitive Functional Therapy, also kognitive funktionelle Therapie.
Dabei geht es darum, dass man diese negativen Glaubenssätze in Bezug auf die Haltung dadurch verändert, dass man sagt, versuch mal in dieser Position zu entspannen und dich zu lockern oder deine Körperhaltung hängt nicht mit Rückenschmerzen zusammen.
Da ist sehr, sehr viel Edukation drin, also Wissensvermittlung und es wird sehr viel Wert draufgelegt, in verschiedenen Körperpositionen, die mit Angst verbunden sind, sich entspannen zu können.
Ansonsten zeigen auch Untersuchungen, wie beispielsweise die von Richards et al. (2016), dass es einen sehr starken Zusammenhang zwischen deinen Emotionen und deiner Körperhaltung gibt.
In ihrer Studie konnten sie feststellen, dass Leute mit Depressionen deutlich häufiger eine vorgeneigte, runde Körperhaltung haben, als Leute ohne Depression.
Aus diesem Punkt solltest du also mitnehmen, dass deine Emotionen und deine Glaubenssätze eine “schlechte Haltung” verstärken können, und du diese berücksichtigen solltest, wenn du deine Haltung verändern willst.
Rundrücken loswerden – Empfehlungen
So, dann kommen wir zu den Empfehlungen, die ich für dich habe.
Es gibt einige Studien, die gezeigt haben, dass sich eine runde Brustwirbelsäulenposition, also ein Rundrücken verändern lässt (Seidi et al 2014). Was man bei diesen Studien aber festgestellt hat, ist, dass die Auswahl der Übungen überhaupt nicht das Entscheidende ist.
Es geht also nicht darum bestimmte Dehnübungen auszuführen, sondern darum, dass du einfach mehr Zeit in gestreckter Position der Brustwirbelsäule verbringst.
Wenn es deine Gewohnheit ist, dich immer in dieser vorgeneigten Körperposition aufzuhalten, dann wird deine Haltung entsprechend aussehen.
Demnach müssen wir schauen, wenn du den Rundrücken loswerden willst, dass wir mehr das Aufrichten des Oberkörpers in deinen Alltag integrieren, sodass du dieses neue für dich motorische Muster erlernst und dich gewohnheitlich automatisch mehr in dieser Position aufhältst.
Übungen und Tipps (keine Dehnübungen)
Wie kann man das erreichen? Aus der Literatur des motorischen Lernens geht hervor, dass externe Fokuspunkte und Beschränkungen dabei sehr gut funktionieren (Chua et al. 2021).
Lass uns anfangen mit den externen Fokuspunkten. Anstatt dich intern auf die Brustwirbelsäule zu konzentrieren, wie die sich bewegt, stell dir vor, du würdest zum Beispiel dein Brustbein nach vorne oben zu einem gewissen Punkt im Raum bewegen.
Dadurch wirst du diese Bewegung viel schneller lernen können, als wenn du dich auf den internen Fokuspunkt deiner Wirbelsäule konzentrierst. Je weiter der Fokuspunkt von dir entfernt ist, desto besser scheint dieses motorische Lernen stattfinden zu können.
Bedeutet, anstatt dich auf einen Punkt zu konzentrieren, der direkt hier vor dir ist, stell dir wirklich vor, dass du deinen Brustkorb z. B. ans andere Ende des Raumes bewegst.
Diesen wichtigen Hinweis mit den externen Fokuspunkten kannst du dir ab sofort bei allen Übungen, die du ausführst, zunutze machen.
Probiere also, mit mehr Streckung in der Brustwirbelsäule zu arbeiten, wenn du beispielsweise Kreuzheben, Kniebeugen oder spezifische Mobilisationen für die Brustwirbelsäule machst.
Wie kannst du für dich externe Fokuspunkte finden, die dir dabei helfen, mehr Brustwirbelsäulenextension zu erreichen?
Das war jetzt der erste Punkt, aber ich habe ja auch über diese Einschränkungen geredet, die man sich zunutze machen kann.
Wie gesagt, Haltung ist von deinen Gewohnheiten geprägt. Das bedeutet, wie können wir dein Umfeld so anpassen, dass z. B. die gebeugte Position der Wirbelsäule eingeschränkt wird.
Darüber habe ich mit Dr. Sam Spinelli von E3 Rehab nämlich gesprochen.
Er arbeitet bei solchen Leuten, die sich immer wieder in dieser nach vorne gerundeten Position finden, super gerne mit Sitzkeilen.
Dadurch, dass der Sitzkeil nach hinten höher wird, wird dein Becken automatisch mehr nach vorne gekippt und es fällt dir viel, viel schwerer dadurch, in diese runde Position zu kommen. Du wirst also in der Rundung der Wirbelsäule eingeschränkt.
Eine weitere Idee für eine hilfreiche Einschränkung wäre, wenn du beispielsweise jemand bist, der sich gerne hinten in den Stuhl anlehnt und dadurch gerne in diese runde Position kommt. Wenn du irgendwas hinten an die Lehne machst, das dich pikst, wenn du dich anlehnst, dann wirst du dich automatisch weiter vorne aufhalten.
Es gibt auch die Möglichkeit, dass du z. B. auf einen Petsi-Ball gehst, der hat gar keine Lehne. Durch die fehlende Lehne ist deine Rücken besser beweglich und du wirst auch wahrscheinlich viel, viel häufiger in dieser gestreckten Position sein, ohne darüber nachdenken zu müssen und das ist das Wichtige.
Wenn du jetzt sagst, hey, das ist schon mal voll gut, dass ich mir nicht mehr so viel Gedanken darüber machen muss, ich würde aber trotzdem gerne an meinem Rundrücken arbeiten, alleine aus optischen Gründen. Dann schau dir gerne mal folgendes Video von mir zu dem Thema an.
Falls du dich noch mehr für das Thema Haltung interessierst, lies dir gerne meinen Artikel zum Thema Hohlkreuz durch.
Literatur
- Chua, L. K., Jimenez-Diaz, J., Lewthwaite, R., Kim, T., & Wulf, G. (2021). Superiority of external attentional focus for motor performance and learning: Systematic reviews and meta-analyses. Psychological bulletin, 147(6), 618–645. https://doi.org/10.1037/bul0000335
- Richards, K. V., Beales, D. J., Smith, A. J., O’Sullivan, P. B., & Straker, L. M. (2016). Neck Posture Clusters and Their Association With Biopsychosocial Factors and Neck Pain in Australian Adolescents. Physical therapy, 96(10), 1576–1587. https://doi.org/10.2522/ptj.20150660
- Seidi, F., Rajabi, R., Ebrahimi, I., Alizadeh, M. H., & Minoonejad, H. (2014). The efficiency of corrective exercise interventions on thoracic hyper-kyphosis angle. Journal of back and musculoskeletal rehabilitation, 27(1), 7–16. https://doi.org/10.3233/BMR-130411
- Schmidt, H., Bashkuev, M., Weerts, J., Graichen, F., Altenscheidt, J., Maier, C., & Reitmaier, S. (2018). How do we stand? Variations during repeated standing phases of asymptomatic subjects and low back pain patients. Journal of biomechanics, 70, 67–76. https://doi.org/10.1016/j.jbiomech.2017.06.016