Hast du muskuläre Dysbalancen und fragst dich, wie du sie loswerden kannst? Dann bist du hier genau richtig. In diesem Artikel erfährst du nämlich, warum du diese Dysbalancen höchstwahrscheinlich überhaupt nicht loswerden musst!
Inhaltsverzeichnis
Was sind vermeintliche Folgen von muskulären Dysbalancen?
Ich höre immer wieder von meinen Coaching-Klienten, dass ihnen von Ärzten und Therapeuten gesagt wurde, dass die muskulären Dysbalancen die Ursache für ihre Schmerzen seien.
Oft heißt es, dass bestimmte Muskelgruppen abgeschwächt und die Gegenspieler (Muskeln) verkürzt sind. Durch die Abschwächung und Verkürzung der Muskeln soll es dann zu “Fehlhaltungen” und Verspannungen kommen, welche wiederum Schmerzen auslösen sollen.
Was ich außerdem oft höre ist, dass eine häufige einseitige Beanspruchung der Muskeln schlecht sei, da auch diese zu Dysbalancen führt.
Diese Dysbalancen sollen dann durch Training der schwächeren Seite/ Muskelgruppe ausgeglichen werden, um die Schmerzen wieder in den Griff zu bekommen.
Genau das haben sie versucht und die Schmerzen sind nach wie vor da.
Wenn wir mal weg vom Thema Schmerz gehen, wird ein muskuläres Ungleichgewicht vor allem beim Sport oft mit Verletzungen in Zusammenhang gebracht.
Die Aussage ist, dass muskuläre Dysbalancen das Verletzungsrisiko erhöhen.
Der dritte Bereich wäre die Leistungsfähigkeit. Es wird häufig angepriesen, dass wir nur dann unser maximales Leistungspotential ausschöpfen können, wenn wir möglichst symmetrisch sind.
Also wir fassen kurz zusammen: Dysbalancen führen angeblich zu mehr Schmerzen, mehr Verletzungen und einer geringeren Leistungsfähigkeit.
Doch was sagt die Wissenschaft dazu?
Muskuläre Dysbalancen (wissenschaftlich geprüft)
Fangen wir mal kurz mit dem Thema Schmerz an.
Ich habe nach Belegen dafür gesucht, dass Dysbalancen die Ursache für Schmerzen sind. Am häufigsten stößt man hierbei auf Fallberichte, bei denen nur jeweils eine Person untersucht wurde. Ein Beispiel dafür wäre die Studie von Ramos et al. aus dem Jahr 2019.
Kurz zusammengefasst kommen diese Studien zu dem Ergebnis, dass ein Training, das an der Kraft und Symmetrie der Muskeln arbeitet, Schmerzen tatsächlich verringert.
Das Training an den muskulären Dysbalancen scheint ja offensichtlich gegen Schmerzen zu helfen. Heißt das, dass die Dysbalancen die URSACHE für die Schmerzen waren?
Nein. Das wäre wieder der Sogenannte “Post-Hoc Fallacy” (Fehlschluss der Kausalität), welchen ich in meinem Artikel “Wer heilt, hat recht“-bereits erklärt habe. Das heißt nur, dass diese Trainingsform bei Schmerzen helfen kann – sonst nichts.
Außerdem wird oft erwähnt, dass Leute mit Rückenschmerzen in den meisten Fällen muskuläre Asymmetrien haben.
Diese Annahme beruht genau auf dem selbem Prinzip, also einem Fehlschluss der Kausalität. Nur weil zwei Dinge gleichzeitig auftreten, heißt das noch lange nicht, dass Ding 1 die Ursache für Ding 2 ist.
Was wir jedoch wissen ist, dass Schmerzen einen großen Einfluss auf die Muskelspannung haben! Also Leute mit Rückenschmerzen entwickeln oft eine erhöhte Muskelspannung der Rückenmuskulatur, das zeigt die Studie von Griffioen et al. 2020! Schmerzen sind also die Ursache für eine erhöhte Muskelspannung und nicht andersherum.
In Bezug auf die Themen Verletzungsrisiko und Leistungsfähigkeit gibt es eine aktuelle Studie von Afonso et al. aus dem Jahre 2022. Sie haben sich die bisher veröffentlichten Studien zu diesen Themen genauer angeschaut und sind zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen:
1. Asymmetrien sind normal und treten selbst bei vermeintlich symmetrischen Sportarten und Bewegungen extrem häufig auf (Schwimmen, Joggen etc.)
2. Asymmetrien aufgrund einseitiger Belastungen bewirken bei bestimmten Sportarten (z. B. Tennis etc.) sogar eine positive Anpassungserscheinung des Körpers.
3. Es gibt keinerlei Belege dafür, dass Asymmetrien das Verletzungsrisiko erhöhen.
4. Es gibt keinerlei Belege dafür, dass Asymmetrien die Leistungsfähigkeit reduzieren bzw. dass mehr Symmetrie die Leistungsfähigkeit erhöht.
Das heißt nicht, dass Dysbalancen NIE von Bedeutung sind. Nach einer OP, z. B. am vorderen Kreuzband, ist es wichtig, die Muskulatur gezielt wieder aufzubauen! Aber bei den meisten Leuten gab es keine OP, die zu einem massiven, einseitigen Abbau der Muskulatur geführt hat.
Muskuläre Dysbalance – was du mitnehmen solltest
Dies sind die wichtigsten Punkte kurz zusammengefasst:
1. Dysbalancen sind normal und unvermeidbar.
2. Es gibt keine Belege dafür, dass Dysbalancen Schmerzen verursachen können.
3. Es gibt keine Belege dafür, dass herkömmliche Dysbalancen dein Verletzungsrisiko erhöhen.
4. Es gibt keine Belege dafür, dass du leistungsfähiger bist, wenn du symmetrischer bist.
5. Oft sind Dysbalancen sogar positive Anpassungen, die deine Leistungsfähigkeit in dem Sport erhöhen können.
6. Nach einer OP ist es sinnvoll, starke muskuläre Dysbalancen wieder einigermaßen auszugleichen.
Weißt du, was noch ein Thema ist, das meistens falsch verstanden wird? Gleichgewichtstraining auf wackligem Untergrund. Wenn du wissen möchtest, warum du damit höchstwahrscheinlich deine Zeit verschwendest, solltest du dir diesen Artikel durchlesen!
Literatur
- Afonso, J., Peña, J., Sá, M., Virgile, A., García-de-Alcaraz, A., & Bishop, C. (2022). Why sports should embrace bilateral asymmetry: a narrative review. Symmetry, 14(10), 1993.
- Griffioen, M., van Drunen, P., Maaswinkel, E., Perez, R. S. G. M., Happee, R., & van Dieën, J. H. (2020). Identification of intrinsic and reflexive contributions to trunk stabilization in patients with low back pain: a case-control study. European spine journal : official publication of the European Spine Society, the European Spinal Deformity Society, and the European Section of the Cervical Spine Research Society, 29(8), 1900–1908. https://doi.org/10.1007/s00586-020-06385-9
- Ramos, M. R. F., Junior, Y. A. C. S., & de Souza, L. A. B. (2019). Swimming as Treatment of Scapular Dyskinesis. Case reports in orthopedics, 2019, 5607970. https://doi.org/10.1155/2019/5607970