Du möchtest wissen, was die beste Übung gegen Rückenschmerzen ist? Dann bist du hier falsch. In diesem Artikel erkläre ich dir nämlich ganz genau, warum es keine beste Übung bei Rückenschmerzen gibt.
Inhaltsverzeichnis
Behauptungen, warum Schmerzen im Rücken entstehen
Rumpfmuskulatur zu schwach?
Die erste Behauptung, welche du bestimmt selbst schon oft gehört hast, wäre, dass die Rumpfmuskulatur zu schwach ist und du deswegen Rückenschmerzen hast. Ich bin ganz ehrlich, ich habe das selbst als Physio schon oft behauptet! Es erscheint ja auch irgendwie logisch.
Neben der Rumpfmuskulatur wird oft auch der Hüftbeuger für Rückenschmerzen verantwortlich gemacht. Ist dieser z. B. aufgrund von langem Sitzen “verkürzt” soll das zu Verspannungen, einem Hohlkreuz und folglich zu Rückenschmerzen führen.
Fehlende Ansteuerung?
Eine weitere Behauptung ist, dass du deine Rumpfmuskulatur nicht richtig ansteuern kannst – also dass dir die Kontrolle über die Muskeln fehlt. Zum Beispiel, dass du dein Becken nicht kontrolliert nach vorne und hinten kippen kannst.
Fehlende Muskelaktivität?
Behauptung Nummer 3 ist, dass die Rumpfmuskulatur nicht “richtig” feuert. Das soll heißen, dass einzelne Muskeln angeblich zu spät aktiviert werden. Hier wird dann oft von der tiefen Rumpfmuskulatur gesprochen.
Basierend auf all diesen Theorien wird dann natürlich gesagt, dass du ganz spezifische Übungen brauchst (die z. B. an der Ansteuerung deiner Muskulatur arbeiten, die Kraft der Rumpfmuskulatur verbessern etc.).
Die beste Übung gegen Rückenschmerzen – was sagt die Wissenschaft?
Lass uns die einzelnen Behauptungen mal nacheinander durchgehen.
Wir fangen an mit dem Thema “schwache Rumpfmuskulatur”.
Erst mal – warum sollte das überhaupt ein Problem sein? In der Regel wird davon ausgegangen, dass die Wirbelsäule aufgrund von schwacher Muskulatur instabil ist und das die Schmerzen verursacht.
Aber wenn man sich das ganze mal genauer anschaut, wie es Cholewicki et al. schon im Jahre 1997 gemacht haben, brauchen wir fast keine Muskelaktivität, um die Wirbelsäule stabil zu halten.
Stell dir vor, wir packen dich in eine Maschine rein und lassen ein Gewicht auf Brustwirbelsäulen-Höhe gegen dich arbeiten. Was denkst du, wie viel % deiner maximalen Muskelaktivität die Rumpfmuskulatur braucht, um deine Wirbelsäule zu stabilisieren?
3 %.
Ich wiederhole, DREI Prozent.
Spannenderweise haben Leute mit Rückenschmerzen sogar eine höhere Stabilität der Wirbelsäule. Das zeigt die Studie von Griffoen et al. Aber wie lässt sich das erklären? Relativ einfach, denn aufgrund von Schmerzen baut sich eine Schutzspannung in der Muskulatur auf, um dich vor Schaden zu schützen.
Das Thema Hohlkreuz und “verkürzte Hüftbeuger” habe ich bereits in diesem Artikel wissenschaftlich aufgearbeitet. Lies ihn dir gerne anschließend durch.
Dann lass uns jetzt mal die zweite Behauptung genauer anschauen. Kann es sein, dass eine zu “schlechte” Ansteuerung der Rumpfmuskulatur, Rückenschmerzen verursacht?
Smith et al. haben sich das in ihrer Studie festgestellt, dass spezifische Übungen für die motorische Kontrolle (also Ansteuerung) der Rumpfmuskulatur einen sehr positiven Effekt auf Rückenschmerzen hat.
Also stimmt die Behauptung?!
Eher nicht.
Weil sie ebenso festgestellt haben, dass einfach nur aktiv sein (wie z. B. auf einem Fahrradergometer fahren) langfristig genauso gut gegen Rückenschmerzen hilft.
Wie steht’s um die Aktivierung der Rumpfmuskulatur? Stimmt diese Behauptung wenigstens, dass manche Muskeln zu spät anspringen?
Nope.
Hier gibt es zum Beispiel die Studie von Vasseljen et al. Die haben sich zum einen angeschaut, ob man überhaupt trainieren kann, wie schnell Muskeln aktiviert werden und ob das einen Effekt auf Rückenschmerzen hat.
Dreimal darfst du raten, was das dabei herauskam:
- Man kann die Muskelaktivierungsmuster nicht wirklich trainieren.
- Sie haben keinen nachgewiesenen Einfluss auf Rückenschmerzen.
Braucht man spezifische Rückenübungen bei Rückenschmerzen?
Hier haben Van Dillen et al. eine super coole Studie gemacht. Sie haben Leute mit Rückenschmerzen in verschiedene Kategorien eingeteilt (z. B. Schmerzen bei gebeugter Wirbelsäule oder Schmerzen bei gestreckter Wirbelsäule).
Dann haben sie den Teilnehmer*innen in der jeweiligen Kategorie ganz spezifische Übungen gegeben, die genau auf diesen Schmerz abgestimmt waren.
Als Vergleich haben sie andere Leute mit Rückenschmerzen einfach nur allgemeine Übungen machen lassen, bei dem einfach alle Muskelgruppen gleichermaßen trainiert wurden.
Das Ergebnis?
Sowohl spezifische Übungen als auch unspezifische Übungen helfen und es gab keinen Unterschied zwischen den Gruppen! Also das unspezifische Training hat genauso gut geholfen, wie die ganz spezifischen Übungen.
So – jetzt haben wir die häufigsten Behauptungen auseinandergenommen. Das ist ja alles schön und gut, aber was bringt dir dieses Wissen jetzt?
Was bedeutet das für dich und dein Rückentraining?
Der wichtigste Punkt, den ich dir mitgeben möchte, ist folgender:
Versuch dich nicht an ganz spezifischen, verrückten Übungen festzuhalten, die du auf Youtube, Instagram oder in Artikeln siehst. Es gibt NICHTS besonders wirksames an diesen Übungen.
Falls dir jemand verspricht, dass du allein durch Übungen im Vierfüßlerstand, oder durch bestimmte Dehnungen, die du 30 Sekunden lang halten sollst, effektiv deine Schmerzen loszuwerden kannst, solltest du diese Aussagen gründlich hinterfragen.
Denn auch wenn z. B. dehnen und mobilisieren der Lendenwirbelsäule deine Beweglichkeit fördert und das ein Einflussfaktor für die Schmerzen sein kann, ist es unwahrscheinlich dadurch von jetzt auf gleich schmerzfrei zu werden.
Versteh mich nicht falsch, das sind in den meisten Fällen keine schlechten Übungen, jedoch gibt es ein großes ABER.
Denn Rückenschmerz ist ein Symptom, das von vielen Dingen beeinflusst werden kann. Dein Schlaf, deine Ernährung, dein Aktivitätslevel, dein Gewebestatus etc.
Ich würde dir empfehlen mal herauszuzoomen und zu schauen, was deinen Körper in letzter Zeit sehr unter Stress gesetzt hat. War es ein akutes Trauma, wie ein Sturz oder ähnliches? Dann ist es natürlich sinnvoll, sich auf die Erholung zu konzentrieren und starke Belastung erst mal zu vermeiden.
Hast du deinen Rücken in den letzten Tagen oder Wochen auf eine Art und Weise belastet, die er nicht gewohnt ist? Zum Beispiel, weil du umgezogen bist und super viele Möbel zusammengebaut hast. Auch hier: erst mal die provozierenden Belastungen reduzieren und dann langsam wieder einsteigen.
Hast du dein Trainingspensum in den letzten zwei Monaten deutlich erhöht? Vielleicht war das einfach etwas mehr, als dein Rücken aktuell tolerieren kann.
Die Lösung für Rückenschmerzen ist also einerseits viel komplexer als eine spezifische Übung und andererseits ist sie aber viel simpler, weil wir keine ganz speziellen Behandlungsmethoden brauchen, um sie zu verbessern.
Der Mythos, dass es die beste Übung gegen Rückenschmerzen gibt, ist leider nicht der einzige, der oft verbreitet wird. Oft wird die Ursache von Rückenschmerzen auf einen einzelnen Muskel geschoben. Was mich an dieser Behauptung stört und warum es sich auch hierbei um einen Mythos handelt, erkläre ich dir in diesem Artikel.
Literatur
- Cholewicki, J., Panjabi, M. M., & Khachatryan, A. (1997). Stabilizing function of trunk flexor-extensor muscles around a neutral spine posture. Spine, 22(19), 2207–2212.
- Griffioen, M., van Drunen, P., Maaswinkel, E., Perez, R. S. G. M., Happee, R., & van Dieën, J. H. (2020). Identification of intrinsic and reflexive contributions to trunk stabilization in patients with low back pain: a case-control study. European spine journal : official publication of the European Spine Society, the European Spinal Deformity Society, and the European Section of the Cervical Spine Research Society, 29(8), 1900–1908.
- Smith, B. E., Littlewood, C., & May, S. (2014). An update of stabilisation exercises for low back pain: a systematic review with meta-analysis. BMC musculoskeletal disorders, 15, 416.
- Van Dillen, L. R., Norton, B. J., Sahrmann, S. A., Evanoff, B. A., Harris-Hayes, M., Holtzman, G. W., Earley, J., Chou, I., & Strube, M. J. (2016). Efficacy of classification-specific treatment and adherence on outcomes in people with chronic low back pain. A one-year follow-up, prospective, randomized, controlled clinical trial. Manual therapy, 24, 52–64.
- Vasseljen, O., Unsgaard-Tøndel, M., Westad, C., & Mork, P. J. (2012). Effect of core stability exercises on feed-forward activation of deep abdominal muscles in chronic low back pain: a randomized controlled trial. Spine, 37(13), 1101–1108.