Hör auf, an diese 9 Schmerz Mythen zu glauben!

Heute geht es um ein Thema, das uns alle betrifft, und zwar Schmerzen. In diesem Blog Artikel werde ich die neun häufigsten Schmerz Mythen entlarven und dir ein besseres Verständnis für deine Schmerzen geben, damit du sie besser bewältigen kannst.

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Mythos #1: Schmerzen bedeuten, dass Gewebe beschädigt ist

Bei Schmerzen geht es vielmehr um Sensibilität als um Schaden. Lass mich das noch ein bisschen genauer erklären.

Wenn wir natürlich so ein klassisches Beispiel wie einen Knochenbruch nehmen, dann ist Gewebeschaden sehr stark mit Schmerzen assoziiert.

Aber du hast doch bestimmt auch schon mal von vielen Leuten gehört oder vielleicht gehörst du auch dazu, die keinen speziellen Auslöser, wie einen Unfall hatten und trotzdem schon über längere Zeit Schmerzen haben.

Oder kennst du das, wenn du mehr Stress in deinem Leben hast, zum Beispiel bei der Arbeit oder angenommen du hast weniger geschlafen, dass du dann mehr Schmerzen hast als sonst?

In diesem Moment hattest du jetzt nicht plötzlich mehr Gewebeschaden, sondern einfach mehr Stress. Genau deswegen warst du sensibler gegenüber Schmerzen.

Dazu habe ich auch schon mal einen Instagram-Post gemacht. Ich blende ihn dir hier mal ein.

Schmerz Mythen - Sensibilitätsschwellen
Sensibilitätsschwellen für die Entstehung von Schmerzen nach Lehmann (2007).

Die Abbildung zeigt einfach schön, dass es eigentlich die Summe der ganzen Stressoren in deinem Leben ist, die dann irgendwann dazu führt, dass die “Schmerzschwelle”, überschritten wird und du Schmerzen empfindest.

Um diesen Punkt nochmal zu verdeutlichen, dass Gewebeschaden nicht automatisch gleich Schmerzen bedeutet, gibt es eine ganz bekannte Studie von Brinjikji et al., die belegt, dass extrem viele Leute Bandscheibendegeneration und Vorfälle haben, ohne Schmerzen zu haben.

Letztendlich will dich dein Körper durch Schmerz einfach nur dazu animieren, etwas zu verändern. Dass du dich mehr bewegst, dass du dich anders bewegst oder dass du Stressoren in deinem Leben reduzierst.



Mythos #2: Durch bildgebende Verfahren (MRT, Röntgen etc.) findet man die Ursache für Schmerzen

Die Studie von Brinjikji et al. zeigt einfach so gut, dass Untersuchungen mittels bildgebender Verfahren in Bezug auf Schmerzen sehr oft nicht so aussagekräftig sind.

Verstehe mich nicht falsch, bildgebende Verfahren haben auf jeden Fall ihren Stellenwert. Meiner Meinung nach sollten sie jedoch deutlich seltener durchgeführt werden und nicht direkt als erste Maßnahme bei ganz vielen Schmerzpräsentationen.

Wenn ein Bildgebungsverfahren durchgeführt wird, sollte man die Ergebnisse dennoch kritisch betrachten. Angenommen, du hast Schmerzen im linken Knie und lässt ein MRT-Bild machen.

Auf dem Bild kommt dann raus, dass du so einen kleinen Längsriss hast und dass der Meniskus schon ein bisschen degeneriert ist.

Dann hört man ja sehr häufig von Ärzt:innen, dass das der Grund für die Beschwerden sei.

Das würde ich aber sehr kritisch betrachten, weil es kann sehr gut sein, dass dein rechtes Knie, das nicht untersucht wurde, einen viel größeren Längsriss hat oder noch mehr Abnutzungserscheinungen hat und du dort keine Schmerzen hast.

Das Fazit von diesem Punkt ist also, dass bildgebende Verfahren nur ein mögliches Puzzlestück sein können, wenn es darum geht herauszufinden, dass die Schmerzen nicht nur eine Möglichkeit sind, die Schmerzen zu lösen, woher Schmerzen kommen.

Mythos #3: Du hast Schmerzen, weil du eine krumme/schiefe Körperhaltung hast

Dazu gibt es eine sehr schöne Studie von Swain et al. aus dem Jahr 2019, die über 4000 Studien angeschaut haben, um zu überprüfen, ob an dieser Hypothese überhaupt was dran ist, dass es einen Zusammenhang zwischen deiner Körperhaltung und Schmerzen gibt.

Und dabei haben sie eben herausgefunden, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen deiner Körperhaltung, zwischen längerem Sitzen, längerem Stehen oder körperlich harter Arbeit und Schmerzen im unteren Rücken gibt.

Aus diesem Punkt solltest du mitnehmen, dass es keine perfekte Körperhaltung gibt und dass diese höchstwahrscheinlich nicht die primäre Ursache für deine Schmerzen ist.

Natürlich, wenn eine gewisse Körperhaltung bei dir Schmerzen verursacht, dann wechsel deine Körperhaltung für einen gewissen Zeitraum.

Aber wie gesagt, die Ursache ist die Körperhaltung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Falls du mir das noch nicht glauben solltest, lies dir gerne diesen Artikel durch, in dem ich die Thematik nochmal genauer erkläre.

Mythos #4: Es gibt Schmerzrezeptoren im Körper

Es gibt keine Schmerzrezeptoren, es gibt nur Gefahrenrezeptoren, die eben Bedrohungen in deinem Körper aufnehmen können, wie zum Beispiel zu heiß, zu kalt, zu viel Druck, zu spitz, zu scharf, was auch immer (Dubin & Patapoutian 2010).

Schmerz Mythen - Studie von Dubin & Patapoutian

Die Gefahr wird dann zum Gehirn weitergeleitet und dann entsteht Schmerz. Ganz einfach ausgedrückt.



Mythos #5: Schmerzen müssen entweder im Körper oder im Kopf sein

Ich höre regelmässig von Sportler:innen, dass ihnen gesagt wurde, dass sie sich ihre Schmerzen ausdenken oder dass der Schmerz in ihrem Kopf ist.

Diese Sichtweise stammt aus dem 17. Jahrhundert und dennoch hört man das heute noch ständig, dass Leute berichten, dass ihnen gesagt wurde, dass sie sich die Schmerzen nur ausdenken oder die Schmerzen nur in ihrem Kopf wären.

Oder wenn man irgendwie Schmerzen in seinem Körper hat, dass das überhaupt nichts mit der Psyche zu tun hat.

Mittlerweile gibt es aber viel modernere, ganzheitlichere Schmerztheorien, bei denen ganz klar wird, dass man diese Trennung zwischen Körper und Geist nicht machen kann (Cormack et al. 2023).

Mythos #6: Man darf erst dann wieder Sport machen, wenn die Schmerzen ganz weg sind

Diese Sichtweise ist auch gefühlt aus dem 17. Jahrhundert, weil sie total eindimensional ist.

Es gibt sehr viele Schmerzproblematiken, bei denen du komplett ohne Sportpause einfach weiter trainieren kannst.

Es geht vielmehr darum, dass du die Belastung ordentlich steuerst, also den Bewegungsumfang, das Bewegungstempo, wie oft du die Übung machst, wie intensiv du die Übung machst, wie viele Sätze du von der Übung machst und wie komplex die Übungen sind, die du durchführst.

Mit diesen sechs Stellschrauben kannst du so viel verändern, dass du sehr, sehr früh wieder mit Sport anfangen kannst oder überhaupt gar keine Sportpause machen musst.

Natürlich, wenn du jetzt zum Beispiel einen Muskelfaserriss in der Beinrückseite hast und es dir höllisch wehtut deine Beinbeuger zu trainieren, dann würde ich das eine Zeit lang nicht machen und warten, bis eine gewisse Linderung eintritt.

Es gibt dabei ja auch noch hunderte weitere Muskeln in deinem Körper, die du ohne Probleme weiter trainieren könntest, wenn du an diesen sechs Stellschrauben da drehst.

Wenn du jetzt zum Beispiel weiterhin deinen Unterkörper trainieren möchtest, könntest du an der Stellschraube Komplexität drehen, also nicht ganz so komplexe Übungen wie Kniebeugen machen, sondern eine isolierte Übung wie die Abduktion der Hüfte an der Maschine oder Wadenheben im Sitzen.

Dann könntest du weiter im Training bleiben und deiner Beinrückseite die Zeit geben, um sich zu erholen. 

Wenn du Schmerzen hast, dann ist es einfach wichtig, dass du deinem System, und damit ist jetzt nicht nur der Muskel konkret gemeint, sondern auch das Nervensystem, genügend Zeit gibst, sich zu erholen.

Denn wenn du den Schmerz zu oft auslöst, dann lernt dein Körper Schmerzen zu haben und das Auftreten der Schmerzen wird weiter gefördert.

Dieser Prozess nennt sich zentrale Sensibilisierung (Van Griensven et al. 2020). Du erinnerst dich an den Punkt vorhin, dass man sensibler gegenüber Schmerzen wird.

Das Schöne ist aber, dass dieser Prozess auch rückgängig gemacht werden kann. Bedeutet, wenn du Schmerzen über einen längeren Zeitraum nicht auslöst, dann kann diese zentrale Sensibilisierung zurückgehen, dein Schmerzlevel weniger werden, sodass du nicht mehr so sensibel auf bedrohliche Signale reagierst.

Mythos #7: Du hast Schmerzen, weil du Übung XYZ falsch ausgeführt hast

Achtung Newsflash, es gibt grundsätzlich keine beste Art und Weise, sich zu bewegen.

Ein Gelenk, bei dem ganz oft von falscher Bewegung gesprochen wird, ist das Schulterblatt. Da werden so oft irgendwelche korrigierenden Übungen gemacht, um die Schulterblattbewegung zu optimieren und genau dazu haben Salamh et al. 2023 ein neues Paper veröffentlicht, bei dem sie über 2000 Menschen mit oder ohne Schulterschmerzen beobachtet haben.

Dabei konnten sie diese falschen Schulterblattbewegungen bei über 50 % der Leute ohne Schulterschmerzen feststellen.

Es kann durchaus sein, dass es Bewegungen gibt, die du zu oft, zu intensiv, zu gleichbleibend ausführst, aber dabei ist nicht die Bewegung an sich das Schlechte. Mehr zum Thema Schmerzen zwischen den Schulterblättern findest du übrigens in diesem Artikel.

Versuch einfach möglichst viel Abwechslung in die Art und Weise reinzubringen, wie du dich bewegst und dann musst du dir über diesen Glaubenssatz keine Gedanken mehr machen.



Mythos #8: Es gibt immer eine klare Ursache für deine Schmerzen

Zumindest bei den allermeisten Schmerzen am Bewegungsapparat, also Knorpel, Knochen, Bänder, Muskeln, Sehnen etc. ist es zum einen gar nicht notwendig, aber in der Regel auch gar nicht möglich, die eine Ursache für deine Schmerzen rauszufinden.

Das klassische Beispiel dafür sind Rückenschmerzen.

90 % aller Rückenschmerzen im unteren Rücken sind unspezifisch. Es gibt also keine klare Pathologie, die erklärt, weshalb die Person Rückenschmerzen hat.

Ein anderes klassisches Beispiel wäre die Schulter. Da habe ich mit einem der bekanntesten Schulterphysios der Welt drüber gesprochen, mit Adam Meakins. Es gibt einfach so viele Strukturen auf so engem Raum, dass es zum einen gar nicht möglich ist, die eine Struktur zu filtern, aber zum anderen kannst du die Therapie auch nicht auf diese eine Struktur auslegen.

Schmerz Mythen - Anatomie der Schulter
Anatomie der Schulter

Wenn du den Arm in irgendeiner Art und Weise bewegst, sind immer alle Strukturen mit beteiligt. Schaut man sich Übungsprotokolle von Schulterstudien an, lässt sich Folgendes feststellen: egal ob es der Schleimbeutel ist, egal ob es die lange Bizeps-Sehne ist, ob es die Supraspinatus-Sehne ist oder sonst was, die Therapieprotokolle sehen alle gleich aus (Shire et al 2017).

Deswegen mein Tipp: mach dich nicht verrückt, die eine Ursache für deine Beschwerden zu finden. Wenn dir jemand sagt, genau diese Struktur, dieser Muskel ist schuld für deine Schmerzen, dann solltest du diese Aussagen  immer sehr kritisch betrachten.

Mythos #9: Chronische Schmerzen sind unheilbar

Oftmals denken Leute, wenn sie das Wort chronisch hören, dass die Schmerzen nie wieder weggehen.

Dabei sagt das Wort chronisch eigentlich viel mehr über die Vergangenheit als über die Zukunft. Chronische Schmerzen sind einfach nur Schmerzen, die seit über drei Monaten bestehen.

Also wie gesagt Vergangenheit. Es gibt ganz viele verschiedene Arten von chronischen Schmerzen und es gibt durchaus chronische Schmerzen, wie zum Beispiel Fibromyalgie, die in der Regel nicht weggehen und mit denen die Leute lernen müssen zu leben.

Aber bei ganz ganz vielen Schmerzen, die vom Gesundheitspersonal als “chronisch” bezeichnet werden, kannst du davon ausgehen, dass sie in der Zukunft wieder weggehen können.


Literatur

  • Brinjikji, W., Luetmer, P. H., Comstock, B., Bresnahan, B. W., Chen, L. E., Deyo, R. A., Halabi, S., Turner, J. A., Avins, A. L., James, K., Wald, J. T., Kallmes, D. F., & Jarvik, J. G. (2015). Systematic literature review of imaging features of spinal degeneration in asymptomatic populations. AJNR. American journal of neuroradiology36(4), 811–816. https://doi.org/10.3174/ajnr.A4173
  • Cormack, B., Stilwell, P., Coninx, S., & Gibson, J. (2023). The biopsychosocial model is lost in translation: from misrepresentation to an enactive modernization. Physiotherapy theory and practice39(11), 2273–2288. https://doi.org/10.1080/09593985.2022.2080130
  • Dubin, A. E., & Patapoutian, A. (2010). Nociceptors: the sensors of the pain pathway. The Journal of clinical investigation120(11), 3760–3772. https://doi.org/10.1172/JCI42843
  • Salamh, P. A., Hanney, W. J., Boles, T., Holmes, D., McMillan, A., Wagner, A., & Kolber, M. J. (2023). Is it Time to Normalize Scapular Dyskinesis? The Incidence of Scapular Dyskinesis in Those With and Without Symptoms: a Systematic Review of the Literature. International journal of sports physical therapyV18(3), 558–576. https://doi.org/10.26603/001c.74388
  • Shire, A. R., Stæhr, T. A. B., Overby, J. B., Bastholm Dahl, M., Sandell Jacobsen, J., & Høyrup Christiansen, D. (2017). Specific or general exercise strategy for subacromial impingement syndrome-does it matter? A systematic literature review and meta analysis. BMC musculoskeletal disorders18(1), 158. https://doi.org/10.1186/s12891-017-1518-0
  • Swain, C. T. V., Pan, F., Owen, P. J., Schmidt, H., & Belavy, D. L. (2020). No consensus on causality of spine postures or physical exposure and low back pain: A systematic review of systematic reviews. Journal of biomechanics102, 109312. https://doi.org/10.1016/j.jbiomech.2019.08.006
  • Van Griensven, H., Schmid, A., Trendafilova, T., & Low, M. (2020). Central Sensitization in Musculoskeletal Pain: Lost in Translation?. The Journal of orthopaedic and sports physical therapy50(11), 592–596. https://doi.org/10.2519/jospt.2020.0610
Gino Lazzaro

Gino Lazzaro

Gino hat einen Masterabschluss in Sportphysiotherapie. Sein Hauptfokus liegt darauf, Sportler:innen zu helfen, die seit mehr als drei Monaten Schmerzen haben, damit sie wieder ihrem Sport nachgehen können. Wenn du das erreichen möchtest, kannst du dich hier bewerben.

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